Jeder von uns Logistikern kennt es: Das Paket ist weg, beschädigt oder einfach tagelang im Nirwana verschollen. Was dann folgt, ist oft der pure Horror für E-Commerce-Teams: das Claim Management.
Mein Co-Host Jannik Nonnenkamp und ich hatten kürzlich Thomas Hagemann von Claim.Me (Seven Senders) bei uns im LogTech Podcast zu Gast. Und was er da aus dem Nähkästchen geplaudert hat, trifft den Nagel auf den Kopf: Die meisten Händler verbrennen 15 bis 30 Minuten pro Reklamation. Ein manueller Wahnsinn.
Warum ist das eigentlich so ein Albtraum? Und viel wichtiger: Wie kommen wir da raus?
Der Kern des Problems: Ein Versicherungsfall für jedes 5-Euro-Paket
Thomas hat es perfekt zusammengefasst: Ein Paket beim Carrier zu claimen, ist im Grunde wie die Abwicklung eines Versicherungsfalls.
Du als Händler steckst in der Mitte. Der Kunde sagt: "Paket nicht da." Der Carrier sagt: "Tracking zeigt zugestellt." Der klassische Dispute Case.
Was passiert jetzt? Dein Kundenservice muss Dokumente sammeln. Das Schlimmste ist diese verdammte DOR (Declaration of Recipient) – eine eidesstattliche Erklärung des Empfängers. Papierkram, E-Mail-Pingpong, manuelle Dateneingabe in irgendwelche Carrier-Portale. Thomas hat es treffend mit "Berlin am Amt" verglichen, und jeder, der das schon mal gemacht hat, weiß genau, was er meint.
Dieser manuelle Prozess ist nicht nur nervig – er ist auch gewollt. Wie Thomas andeutete: Ein komplizierter, manueller Prozess ist für den, der am Ende zahlen muss (den Carrier), nicht unbedingt schädlich, weil er natürlich auch abschreckend wirkt.
Die Wachstumsfalle: Warum Internationalisierung deine Claim-Kosten explodieren lässt
Jetzt kommt der eigentliche Knackpunkt, den viele unterschätzen: Das Problem wächst nicht linear mit deinem Paketvolumen. Es wächst exponentiell – oder wie Thomas es nannte: "überlinear".
Solange du nur mit einem Carrier in Deutschland versendest, optimiert sich dein Team vielleicht noch irgendwie. Aber sobald du international expandierst und einen zweiten, dritten oder zehnten Carrier aufschaltest, bricht die Hölle los.
Jeder Carrier hat seine eigenen Spielregeln:
- Eigene Fristen und Dokumentenanforderungen
- Eigene IT-Systeme und Portale
- Arbeitssprache des jeweiligen Landes
- Unterschiedliche Liability-Regelungen
Plötzlich hat dein Team einen "Blumenstrauß an Regeln" auf dem Tisch, den es manuell abarbeiten muss. Dein Aufwand pro Claim steigt, anstatt durch Routine zu sinken.
Raus aus dem Excel-Grab: Der wahre Wert der Digitalisierung
Die Lösung ist nicht, einfach nur schneller zu tippen. Die Lösung ist Standardisierung.
Genau hier setzt der LogTech-Gedanke an: Es geht darum, dass der Händler einen standardisierten Prozess hat – egal ob das Paket mit Colissimo nach Frankreich oder DPD nach Berlin ging. Die Software muss die Komplexität der verschiedenen Carrier im Backend "verschlucken".
Spannend war übrigens die Entstehungsgeschichte bei Thomas & Co.: Es war eine Eigenentwicklung, die dann auf Wunsch eines großen Kunden – Musikhaus Thomann – zu einem echten Produkt ausgebaut wurde. Sie hatten genau dieses Problem: Tausende Pakete, dutzende Carrier, null Standardisierung.
Was bringt die Digitalisierung konkret?
- Ein einziges Interface für alle Carrier
- Automatische Anwendung der richtigen Regeln pro Carrier
- Kein manuelles Jonglieren zwischen verschiedenen Portalen
- Drastische Zeitersparnis pro Fall
Vom Feuerlöscher zum Strategen: Wenn KI deine Claims vorhersagt
Wenn du aufhörst, manuell Daten einzutippen, passiert etwas Magisches: Du bekommst Transparenz.
Solange du Claims manuell in Excel-Listen hackst, wirst du nie wissen: "Welcher Carrier hat eigentlich die höchste Schadenquote in diesem einen Postleitzahlengebiet?" Oder: "Warum häufen sich Claims bei bestimmten Produktkategorien?"
Und genau hier wird es richtig spannend für uns LogTech-Begeisterte. Mit digitalen Daten kannst du nicht nur reagieren – du kannst proaktiv handeln.
Thomas sprach über ein "AI-driven Claim Feature", eine KI namens "Amy", die vollautomatisiert Trackingdaten analysiert.
Stell dir vor: Ein Paket hängt seit fünf Tagen in einem Hub fest, ohne sich zu bewegen. Der Kunde hat sich noch gar nicht gemeldet. Die KI erkennt das Muster als "potenziell verloren" und stößt den Claim-Prozess vollautomatisch an – bevor der Kunde überhaupt merkt, dass etwas schiefläuft.
Das spart nicht nur Zeit, sondern verbessert auch die Customer Experience massiv. Dein Kunde bekommt proaktiv eine Nachricht: "Wir haben gesehen, dass es ein Problem gibt und kümmern uns bereits darum."
Das Endgame: Datengetriebene Carrier-Optimierung
Die ultimative Stufe der Claim-Management-Evolution ist die Checkout-Optimierung: Wenn du weißt, dass Carrier X im PLZ-Gebiet Y eine Katastrophen-Quote hat, bietest du ihn dem Kunden im Checkout für diese Region einfach gar nicht erst an.
Oder du gewichtest ihn niedriger. Oder du setzt dynamische Preise ein, die das Risiko einpreisen.
Das ist der Wandel von der reaktiven Zettelwirtschaft hin zur datengesteuerten Prozessoptimierung. Vom Excel-Warrior zum strategischen Netzwerkmanager.
Fazit: Claim Management als strategischer Hebel
Claim Management wird von den meisten Händlern als notwendiges Übel gesehen. Dabei steckt hier enormes Optimierungspotenzial:
- Kostenreduktion durch Zeitersparnis pro Fall
- Bessere Customer Experience durch schnellere Bearbeitung
- Strategische Carrier-Steuerung durch datenbasierte Insights
- Proaktives Handeln statt reaktives Feuerlöschen
Die Tools sind da. Die Technologie ist bereit. Jetzt liegt es an uns, den Schritt aus der manuellen Steinzeit zu machen.