Robotik. Das klingt für den einen oder anderen vielleicht noch nach Science-Fiction, aber in unseren Lagern und Supply Chains ist das längst Realität. Robotik krempelt gerade massiv um, wie wir in der Logistik arbeiten.
Um das mal fundiert zu beleuchten, hatten wir einen echten Experten zu Gast: Victor Splittgerber von WAKU Robotics. Tief verwurzelt im Bereich Robotik für die Logistik und zuletzt auch immer mehr involviert im Bereich Software für Robotiklösungen. In unserer letzten Podcastfolge hat er uns einige spannende Einblicke gegeben, die man nicht an jeder Ecke bekommt.
Warum Robotik in der Logistik gerade so durchstartet
Bei Robotern für die Logistik tut sich gerade enorm viel. Wenn wir von Robotern für unsere Branche sprechen, geht’s vor allem um mobile Roboter. Also die autonomen Geräte, die auf Rädern unterwegs sind. Amazon macht das schon seit Jahren vor, dort sind bald eine Million davon im Einsatz, laut Victor. Aber auch in der breiten Masse der Logistik sieht man immer mehr davon, weil die Technik immer besser und gleichzeitig bezahlbarer wird.
Am Ende entscheidet natürlich der Business Case. Ohne den rechnet sich keine Automatisierung. Aber die mobile Robotik bietet da enorme Potenziale und disruptiert verschiedene Abläufe im Lager:
- Kommissionierung: Roboter übernehmen Laufwege und ersetzen klassische Systeme. Das spart enorm Zeit und Aufwand.
- Sortierung: Oft kleine Roboter, die an Staubsauger erinnern, erledigen die Paketsortierung. Die sind kostengünstig und perfekt für Anlagen, die viele Ziele haben, aber vielleicht keinen extrem hohen Durchsatz brauchen.
- Transport: Denkt an autonome Gabelstapler oder fahrerlose Transportsysteme (FTS), die Paletten vom Wareneingang ins Lager bringen. Solche festen Routen lassen sich wunderbar automatisieren.
Dazu kommen noch Segmente wie Reinigung oder Inventur im Lager, die stark wachsen. Victor hat uns ein Beispiel geschildert von riesigen Türmen, die jede Nacht durchs Lager fahren und den Bestand erfassen. So hat man immer den Überblick und minimiert Fehler, was manuell kaum in dieser Dichte und Präzision machbar wäre.
KI in der Robotik: Zwischen Hype und harter Realität
Klar, das Thema Künstliche Intelligenz in Verbindung mit Robotik ist in aller Munde. Auch im Gespräch in unserem Gespräch. Man spricht von KI, die einen physischen Körper bekommt. Das soll in Zukunft alle Lebensbereiche umkrempeln.
Was sind da die Treiber?
- Hardware-Power: Die Chips werden immer schneller, die Rechenleistung wächst exponentiell. Was wir heute sehen, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt.
- Bilderkennung: Roboter werden immer besser darin, ihre Umgebung zu verstehen. Sie können Menschen und Objekte erkennen, mit ihnen interagieren und sogar Sprache verstehen. Stell dir vor, du kannst einem Roboter einfach sagen: "Bring mir die Palette X zu Tor Y!". Hier tut sich gerade sehr viel.
- Navigation und Simulation: KI unterstützt Roboter dabei, sich zurechtzufinden, optimale Routen zu planen und Abläufe in virtuellen Umgebungen zu simulieren. Die Ergebnisse dieser Simulationen können dann direkt auf die Roboter übertragen werden.
Aber jetzt der wichtige Punkt: Die Realität.
Für mich das spannendste am Gespräch. Victor hat uns da eine sehr realistische, aber essenzielle Einschätzung mitgegeben: Viele der Durchbrüche in der KI-Forschung brauchen noch viel Zeit, bis sie wirklich praxisreif sind. Er hat es treffend mit ChatGPT verglichen: Theoretisch kann man alles damit machen, aber die Ergebnisse in der Praxis sind oft noch nicht das, was man sich vorstellt.
Viele Roboter, die heute im Einsatz sind, agieren noch eher statisch und "begrenzt", wenn man sie mit dem vergleicht, was theoretisch möglich wäre. Von einer Interaktion auf menschlichem Niveau sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Auch wenn viele Startups mit "viel KI" werben, sind die Aktionen, die der Roboter ausführt, oft noch vergleichsweise simpel. Es gibt immer noch Einschränkungen bei der Erkennung oder dem Picken von Artikeln oder es können nur bestimmte Prozessschritte abgebildet werden. Ein Mensch kann eben (noch) ein Stück mehr, ist flexibler.
Die Kernbotschaft hier: Aktuell ist KI noch nicht der entscheidende Faktor, der über Erfolg oder Misserfolg eines Robotikprojekts entscheidet. Das wird sich in ein paar Jahren ändern, dann wird man ohne KI nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Aber im Moment sind viele etablierte Technologien, über die weniger gesprochen wird, wie die klassischen fahrerlosen Transportsysteme (FTS/AGVs), viel besser nutzbar, robuster und planbarer.
Humanoide Roboter: Ein Blick hinter den Hype
Das Thema humanoide Roboter ist aktuell auf dem Höhepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Man denke an Boston Dynamics, Optimus von Elon Musk und Tesla. Ein Humanoid ist schlicht ein Roboter, der menschlich aussieht – also zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf. Die Idee dahinter: Unsere Welt ist für Menschen gemacht, also kann ein menschenähnlicher Roboter sich am besten darin bewegen und unterschiedlichste Aufgaben übernehmen. Dazu kommt, dass es Unmengen an Daten (wie Videos von menschlichen Bewegungen) gibt, auf denen solche Roboter trainiert werden können.
Führende Unternehmen in diesem Segment haben in kürzester Zeit gigantische Summen an Kapital eingesammelt. Der erfahrene Robotikspezialist betrachtet das Ganze mit einer gesunden Skepsis. Man weiß, wie langwierig die Entwicklung von Prototypen bis zur Produktionsreife ist und wie schwer es ist, einen tragfähigen Business Case zu generieren. Zwar experimentieren Unternehmen wie GXO Logistics, Inc. oder Mercedes-Benz AG bereits mit humanoiden Robotern in kleinen Pilotprojekten, aber deren Produktivität ist aktuell noch weit von der eines Menschen entfernt.
Eine klare Empfehlung von Victor in dieser Situation: Als Logistiker oder Produktionsunternehmen ohne viel Erfahrung mit Robotik, gar Humanoids, solltest du dich JETZT noch nicht intensiv mit humanoiden Robotern beschäftigen. Es ist noch zu früh und es bringt kaum Mehrwert, den man sich erhofft. Es gibt viele einfacher umsetzbare Automatisierungsprojekte, die sofort Mehrwert liefern und auf erprobter Technologie basieren. Man denke an AutoStore™, Kommissioniersysteme oder Sortieranlagen. Bis humanoide Roboter wirklich "von der Stange" bestellbar und sinnvoll im Alltag einsetzbar sind, wird noch etwas Zeit vergehen.
Mensch und Roboter: Wie die Zusammenarbeit im Lager aussieht
Der Einsatz von Robotern verändert die Rolle vieler Logistiker. Es geht immer mehr vom direkten Management von Mitarbeitern hin zum Verwalten von Automatisierung. Das bringt neue Aufgaben mit sich, die viele heute noch nicht auf dem Schirm haben:
- Ersatzteilmanagement: Ein oft unterschätztes Thema. Wie manage ich Ersatzteile effizient, um Stillstände zu minimieren?
- Wissensmanagement: Wenn ein Roboter einen Fehler anzeigt, muss schnell klar sein, was die Meldung bedeutet und wie man sie behebt. Eine Lücke die Victor mit WAKU Care füllen, einer Wartungssoftware. Zum Beispiel sind viele Sensoren staubempfindlich. Wenn sich Staub ablagert, stoppt der Roboter. Ohne das nötige Wissen, wie man die Sensoren reinigt, steht die Maschine still. Fehlt dieses Wissen, weil es nicht dokumentiert ist oder Mitarbeiter das Unternehmen verlassen haben, erfindet man das Rad immer wieder neu. Nicht sehr effizient für einen Automatisierungscase.
Der Mensch wird auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Ein Roboter braucht immer jemanden, der ihn betreibt, den "Robot Operator". Diese Personen kümmern sich um die Wartung, unterstützen die Roboter bei Störungen oder führen Reinigungsarbeiten durch. Es entstehen also neue Aufgabenprofile, während sich andere verschieben.
In Lagern, die heute noch viel manuell arbeiten, wird die Automatisierung stark zunehmen, beispielsweise durch autonome Gabelstapler. Doch es wird immer Menschen geben, die diese Maschinen betreuen. Man wird Betreuungsschlüssel definieren, etwa eine Person für eine bestimmte Anzahl an Robotern.
Die Zukunft der Robotik: Was uns erwartet (und was eher nicht)
Victor geht davon aus, dass Robotik zu einem Standard-Feature wird, ähnlich wie Computerchips heute in fast jedem Gerät stecken. Jeder neue Gabelstapler wird die Fähigkeit haben, autonom zu fahren. Das wird sich in Lagern viel schneller durchsetzen als auf öffentlichen Straßen, weil die Umgebung im Lager kontrollierbarer ist und Mitarbeiter geschult werden können. Weniger Variablen als zum Beispiel im öffentlichen Straßenverkehr.
Das übergeordnete Ziel: Lageraufgaben mit deutlich weniger Menschen zu bewältigen. Das ist angesichts des demografischen Wandels in vielen Regionen auch zwingend notwendig.
Skeptisch ist Victor hingegen bei Entwicklungen im öffentlichen Raum, wie autonomen Fahrzeugen, Drohnen oder Lieferrobotern auf Bürgersteigen, zumindest in der EU. Der neue AI Act der EU macht den Einsatz von KI-basierten Systemen im öffentlichen Bereich extrem komplex. In China oder den USA sieht man hier schon Tausende autonome Fahrzeuge, aber bei uns wird das wohl auf absehbare Zeit eher die Ausnahme bleiben.
Victors Appell an die Robotik-Branche und Nutzer
Wenn Victor einen Wunsch frei hätte, wäre es mehr Realismus in der Herangehensweise.
- Prozesse anpassen: Es ist unerlässlich, die bestehenden Prozesse im Lager zu überdenken und anzupassen, wenn man Robotik einführen will. Ein Roboter kann manche Dinge besser, aber andere eben schlechter als ein Mensch. Man kann nicht einfach 1:1 eine menschliche Arbeitskraft durch einen Roboter ersetzen und erwarten, dass alles reibungslos läuft.
- Geduld und Realismus: Robotikprojekte brauchen Zeit. Es gibt viele Beispiele gescheiterter Projekte, weil man zu schnell war. Es dauert oft ein halbes bis ganzes Jahr, bis die Systeme ihre volle Produktivität erreichen. Am Anfang können sie betreuungsintensiv sein, und die Produktivität ist vielleicht noch niedriger. Es ist ein Lernprozess für alle Beteiligten, das muss man wissen und einkalkulieren.
- Unabhängige Beratung nutzen: Victor rät Unternehmen, die noch wenig Erfahrung mit Robotik haben, dringend, mit externen Beratungsunternehmen zusammenzuarbeiten. Es gibt unglaublich viele Anbieter, und die Roboter sehen von außen oft ähnlich aus, haben aber sehr unterschiedliche Fähigkeiten. Eine gute Beratung hilft dabei, den passenden Prozess für den Start zu identifizieren und dann den richtigen Hersteller zu finden.